UPCYCLING
WAS IST UPCYCLING?
Die meisten kennen Recycling bereits aus ihrer Schul- oder Kindergartenzeit. Aus Kronkorken, Papprollen, Wollresten oder Weinkorken konnte man tolle neue Dinge basteln.
Der Begriff Upcycling, ist allerdings eine eher neue Wortschöpfung. Eine Verbindung des englischen »up« für »nach oben« und »recycling« für »Wiederverwertung«. Es geht also darum aus scheinbar nutzlosen Dingen, Materialien oder Halbzeugen ein höherwertiges Produkt zu schaffen. Beim sogenannten Downcycling hingegen werden Materialien zwar auch recycelt, jedoch ohne stoffliche Aufwertung.Â
Ein Beispiel: Wenn wir aus einem kaputten Fahrradschlauch, der als solches nicht mehr nutzbar ist, eine Hülle für das Smartphone schaffen, wird das Material damit zu einem hochwertigeren Produkt verarbeitet – also Upcycling.
Woher kommt das Wort Upcycling?
Die erste bekannte Aussage zur industriellen Bedeutung des Upcycling und des Unterschieds zwischen Up- und Downcycling stammt aus dem Jahr 1994. In einem Interview mit dem Ingenieur Reiner Pilz von der Pilz GmbH, die sich damals bereits mit der Wiederverwendung von Rohstoffen wie Baustoffen bei Hausabrissen beschäftigt hat. Pilz sagte zur Umsetzung der EU-Richtlinie zu den Abbruchabfallströmen: »Ich bezeichne das Recycling als Downcycling. Sie zerschlagen Steine, sie zerschlagen alles. Was wir brauchen, ist ein Upcycling, bei dem alte Produkte einen höheren, keinen geringeren Wert erhalten.«
»Ich bezeichne das Recycling als Downcycling.
Sie zerschlagen Steine, sie zerschlagen alles.
Was wir brauchen, ist ein Upcycling,
bei dem alte Produkte einen höheren,
keinen geringeren Wert erhalten.«
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Reiner Pilz
DIE GESCHICHTE DES Upcycling
Auch wenn die Wortschöpfung neu war, wurde aus Mangel an verfügbaren Rohstoffen schon immer mit Erfindungsreichtum Altes nutzbar wieder gemacht. Man kennt das aus Erzählungen aus Kriegszeiten, aber auch heute noch aus Ländern in denen Armut und Rohstoffmangel herrscht. Abgefahrene Reifen, die zu Schuhen verarbeitet werden, kaputte Nylonstrümpfe aus denen man Haargummis schneidet oder wer kennt nicht die Blumenkübel in Form eines Schwans in Vorgärten, kunstvoll aus alten Reifen geschnitten.
WARUM Upcycling?
In den letzten Jahren bekam der Gedanke zum nachhaltigeren Umgang mit begrenzten Ressourcen wachsende Bedeutung. Nach Jahrzehnten Wegwerfgesellschaft werden nicht nur die Rohstoffe knapp, sondern erwächst auch Müll zu einem immer grösseren Umweltproblem. Mit Mikroplastik landet unser eigener Müll über die Weltmeere wieder auf unserem Teller und auch die Verbrennung schadet dem Klima gewaltig. Die Diskussion, die ehemals »Ökos« und »Spinnern« zugeschrieben wurde, hat nicht nur die Mitte der Gesellschaft erreicht, sondern auch Politik und Industrie. Grosse Konzerne kommen kaum mehr daran vorbei, sich zu dem Thema Nachhaltigkeit zu positionieren und zu engagieren. Immer mehr Konsumenten stellen die Wegwerfmentalität und wenig nachhaltige Produkte in Frage und selbst die Modeindustrie als einer der grössten Umweltkiller beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie sich neue Wege finden lassen. Mit Konsumfreude und Profitmaximierung ist das allerdings recht schwer zu vereinbaren.
Buy less.
Choose Well.
Make it last.
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Vivienne Westwood
GREENWASHING
Der Trend hat schnell auch seine Kehrseite erkennen lassen und der Begriff dafür ist »Greenwashing«. Wenn Nachhaltigkeit begehrt ist, eröffnet es dem Markt neue Möglichkeiten mit der Befriedigung dessen Geld zu verdienen. Die Bereitschaft teurer für trendorientierte Güter zu bezahlen, entbindet jedoch nicht davon genauer hinzusehen.
Als »Upcycling« den Mainstream erreichte, fielen so zunehmend Produkte auf, für die nur kleine Teile recycelten Materials als Hingucker verarbeitet werden, sich aber sonst nicht von billiger Ramschtischware unterscheiden. Meist industriell in Billiglohnländern produziert und oft minderwertig verarbeitet. Das hat mit Nachhaltigkeit wenig zu tun.
Aber auch kleine regionale Label handeln oft nicht anders um diesen Trend zu bedienen. Da lässt man sich bunte Fahrradmäntel für wenig Geld aus den USA schicken um sie dann zu zerschneiden und daraus Federmäppchen zu machen. Sieht klasse aus und macht wenig Arbeit, da die Materialbeschaffung einfach ist und die lästige Reinigung entfällt. Aber auch das hat mit Nachhaltigkeit leider nicht im entferntesten zu tun.
»Immer wieder gibt der Mensch Geld aus, das er nicht hat,
für Dinge, die er nicht braucht,
um damit Leuten zu imponieren, die er nicht mag.«
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Danny Kay
Berlin und Upcycling
Berlin ist ein Pool der Kreativität und es ist auch nicht von ungefähr, dass Green Fashion in Deutschlands Bio-Hauptstadt grosse Bedeutung erlangt hat. Die Stadt bietet viel Anregung und kreativen Austausch.
Was Berlin auch ausmacht ist, dass nutzlos geglaubtes einfach zum Mitnehmen oder zur Entsorgung auf die Strasse gestellt wird. Das macht die Stadt zwar nicht schöner, aber für uns andererseits zu einem riesengrossen Materialfundus und Inspirationsquelle zugleich. Braucht man für ein Projekt ein paar alte Stuhlbeine oder eine alte Holzschublade, fährt man kaum mehr als ein Mal mit dem Fahrrad um den Block.
Auch Flohmärkte gibt es reichlich, wo sich schöne Dinge erstöbern lassen oder Anregungen zu neuen Projekten auf uns lauern.
In den letzten Jahren etablierten sich aber auch Sammelstellen wie die »Material Mafia« oder »Kunststoffe«, wo man gezielt gegen einen Obolus nach benötigtem Recyclingmaterial stöbern kann. Kleiderkammern wie die der »Stadtmission« bieten einen Materialpool für Designer an. Wer z.B. für ein Projekt ganz viele Krawatten benötigt, sagt dort einfach bescheid.
Die Brauchbarkeit des scheinbar unbrauchbaren neu gedacht
K.W.D. und Upcycling
Bei unserer Arbeit mit den verstossenen Materialien gehen wir noch einen Schritt weiter, als dass sie nur nachhaltig, langlebig und regional produziert wären.
Was aus dem jeweiligen Material entsteht ist nicht beliebig. Wichtig ist auch, die individuellen Eigenschaften für das neue Leben nutzbar zu machen. Unsere Arbeit mit Fahrradschlauch, Motorradschlauch, LKW-Schlauch oder Traktorschlauch kann das sehr gut veranschaulichen:
Z.B. unser Schlüsselanhänger »Schlüssel.Schlauch« ist mit Luft gefüllt. So funktioniert er wie ein kleiner Schwimmflügel für den Schlüssel. Den Materialvorzug, dass Butylkautschuk luftdicht ist, machen wir uns so zu Nutze.
Die Kür ist, darüber hinaus ein Design zu entwickeln, das den Ursprung des Materials erkennbar lässt. So greifen wir gerne die Ursprungsform auf, spielen mit ihr anstatt sie in eine neue Form zu zwingen. Zuweilen fast dogmatisch tüfteln wir daran mit so wenig Schnitten wie möglich aus der Ursprungsform eine Neue entstehen zu lassen. Eine Tasche, die die Krümmung des Schlauchs nutzt, kann sich perfekt an den Körper schmiegen und wird so zu einem Teil des Trägers bzw. der Trägerin.
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Darüber hinaus lassen individuell inszenierte Gebrauchsspuren wie Flicken oder industrielle Markierungen die Herkunft des Materials erkennen und erzählen dem Betrachter Geschichten aus seinem Vorleben.
Aber auch die gezielte Kombination mit Elementen, die aus dem Umfeld des verarbeiteten Materials kommen ist typisch für unsere Arbeit. Für die Taschenserie »Reloaded« werden so z.B. alte Autoembleme aufgebracht, die wir auf Flohmärkten oder Schrottplätzen aufstöbern.
Mit diesen vielen Ansprüchen machen wir uns die Aufgabe nicht leicht. Jedes Material ist anders, immer wieder muss das Rad »neu erfunden« werden. Fundstücke sind oft einmalig. Das lässt sich nicht für eine industrielle Fertigung optimieren, aber lässt im Ergebnis unser Herzblut erkennen und macht jedes Teil zu einem echten Unikat.
Verzweckt und Zugenäht
Für unsere Objekte und Produkte ist das Spiel mit gewohnter Wahrnehmung charakteristisch. Vertrautes aus seinem ursprünglichen Kontext zu nehmen und mit überraschender Wirkung oder überzeugender Funktionalität in einen neuen Kontext zu bringen, bereitet uns grosse Freude. Wer hätte schon gedacht, dass ein schillernd-bunter Kronleuchter seine festliche Ausstrahlung durch die Behängung mit über 140 verlebten Zahnbürsten verliehen bekommt? Oder, dass sich alte Fahrradventile als Haken an einem Schlüsselbrett nützlich machen? Das verblüfft den Betrachter, schafft ein Schmunzeln und regt den einen oder anderen dazu an, scheinbar Nutzloses neu wahrzunehmen.
fazit
Mit der Wiederbelebung in von uns zu bewältigenden Mengen werden wir allein sicher nicht die Umwelt retten, aber sie vielleicht ein wenig schöner machen. Wir verstehen uns wenn überhaupt als Botschafter. Unsere Entwürfe schärfen das Bewusstsein, schaffen Augenmerk und regen bestenfalls dazu an unser Konsumverhalten zu überdenken oder auch selbst kreativ zu handeln. Am Ende ist es an uns allen. Als Designerin sehe ich mich in gleicher Verantwortung, wie sie jeder Konsument inne hat, ein kleines Stück daran mitzugestalten.